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Steuerliche Leichtfertigkeit als Bußgeldvorwurf mit verlängerter Steuerfestsetzungsfrist – BFH erteilt generalisierender Betrachtungsweise zulasten des Steuerpflichtigen eine Absage

Die Auslegung des Begriffs „Leichtfertigkeit“ entscheidet darüber, ob sich die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist für Steueransprüche wegen des Vorliegens einer leichtfertigen Steuerverkürzung des Steuerpflichtigen um ein Jahr verlängert hat und eine Steuerfestsetzung durch die Finanzverwaltung im fünften Jahr deshalb noch möglich war.

Der 2. Senat des Bundesfinanzhofs begrenzt nun den subjektiven Leichtfertigkeitsbegriff für die Bestimmung der steuerlichen Festsetzungsfrist und erteilt erfreulicherweise der zuvor teilweise angenommenen weiten Auslegung des Begriffs eine Absage (Urteil vom 16. Mai 2023, Az. II R 35/20). 

Leichtfertigkeit sei dann anzunehmen, wenn ein Steuerpflichtiger nach den Gegebenheiten des Einzelfalls und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den sich aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen. Beispiele für Bewertungskriterien der Finanzverwaltung: Ausbildung, Tätigkeit und Stellung des Steuerpflichtigen. Kaufmänner sollen generell weitergehende Pflichten als Nichtkaufmänner haben.

Herausgestellt haben die Bundesrichter in ihrer Entscheidung nun einen konkreten Bewertungsmaßstab, gut geeignet als Argumentationswerkzeug für den Berater. Der Umstand, dass der Steuerpflichtige über eine bestimmte formale Ausbildung oder Stellung verfüge, habe zwar Indizwirkung, könne aber für sich genommen keine Leichtfertigkeit begründen. Ohne zusätzliche, auf das Individuum bezogene Feststellungen erfülle der Schluss von gruppenspezifisch typischen Eigenschaften auf persönliche Fähigkeiten lediglich einen objektiven Maßstab. Er erschöpfe sich in der Erwartung, dass ein Angehöriger der Gruppe diese Fähigkeit haben müsse. Ob er sie tatsächlich habe, bleibe unbeachtet.

Hinweis für die Praxis

Für die Beratung kommt es darauf an, welche Kriterien die Finanzverwaltung bei der Bewertung der Leichtfertigkeit berücksichtigt hat. Allgemeine, typisierende Betrachtungen von Berufsgruppen ohne individuelle Berücksichtigung der Fähigkeiten des Steuerpflichtigen wird der Berater rügen. Zeitgleich zeigt die Entscheidung den Beratern Ansatzpunkte für die konkrete Argumentation auf. Bei Ablehnung der Leichtfertigkeit fällt auch jeder Bußgeldvorwurf in sich zusammen.